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Von Villach über Udine und Grado nach Triest ans Meer

Gewitterwolken in Villach am 2. August 2012

Da in Kärnten für die nächsten Tage wieder Unwetter angekündigt werden und längere Unternehmungen in den Bergen oder mit dem Rad hier nicht ratsam sind, entschliesse ich mich kurzfristig ans Meer zu fahren, – mit dem 35 Jahre alten Radl, das ich von meiner Mutter geerbt habe. Ein unverwüstliches Steyr-Puch-Fahrrad mit original erhaltener Fahrradklingel, einem bequemen, gefederten Sattel (der sich leider schon auflöst) und einer 3-Gang Nabenschaltung, von der aber nur mehr zwei Gänge funktionieren.

Ankunft in Venzone

Hinten drauf kommen zwei Gepäcktaschen vom Hofer (hübsch designt und auch ganz praktisch), in diese wird ein Fahrradersatzschlauch, zwei Schlauchheber und zwei 15er Schlüssel (ich hoffe, dass ich diese Dinge nicht brauche!), eine dünne Regenjacke, Ersatzleiberl, zweite Hose,     Ersatzunterwäsche, einen leichten Sommerrock für die Abende (verzichtbar), Badezeug, Sonnencreme (sehr wichtig!), Trinkflasche (das Rad hat leider keine Flaschenhalterung, dafür bleibt das Getränk in der Tasche  kühler als am Rad draussen), zwei Gebietskarten von Tarvis bis Triest (Tabacco 1:25.000) und eine über das gesamte Friaul (1:150.000), ein paar energiespendende Fruchtriegel, etwas Obst, der Fotoapparat, das Handy, und das übliche Toilettenzeugs im Miniformat gepackt.

1.Etappe: Von Venzone nach Udine 52km (mit Umwegen rund 70 km ;-))

Da der Bahntrassenradweg von Tarvis nach Venzone derzeit zwischen Dogna und Chiusaforte unterbrochen ist, wähle ich als Startpunkt die Bahnstation von Venzone. Dorthin bringt mich der seit Anfang Juli 2012 neu geführte Regionalzug der MICOTRA (Miglioramento Collegamento Transfrontalieri, ein grenzüberschreitendes Projekt von den ÖBB und der regionalen friulanischen Bahngesellschaft Ferrovie Udine Cividale FUC im Rahmen von EU-Fördermaßnahmen), der von Villach nach Udine geführt wird. Die Bahnverbindung ist so neu (auch eine Online-Buchung ist nicht möglich, man kann nur direkt im Zug bezahlen), dass der Schaffner der ÖBB nicht weiss, was ich überhaupt bis Venzone bezahlen soll, aber ich habe mich ja im Internet informiert und sage ihm an, was er in seinen Ticket-Computer eingeben soll :-). Leider fährt der (einzige) Zug erst knapp vor zehn Uhr in Villach ab, in Tarvisio-Boscoverde gibt es (wegen dem Lok- und Schaffnerwechsel) immer einen längeren Aufenthalt, ich hab auch noch das Pech, dass im nächsten Abteil ein Passagier ohne Pass und Fahrkarte sitzt, was lange Diskussionen mit dem Zugpersonal, Polizei und den Zöllnern nach sich zieht…wir stehen fast 25 Minuten, bis es wieder weitergeht. So geht es für mich erst ab mittag von Venzone los, ich hätte gerne noch einmal etwas länger den interessanten Ort besichtigt, aber hab ja noch eine längere Strecke vor mir und muss daher gleich losfahren.

Venzone ist bei dem schweren Erdbeben 1976 fast völlig zerstört und später wieder bewundernswert aufgebaut worden:

Am 6. Mai 1976 wurde der Ort nahezu komplett zerstört, als um 20:59 Uhr ein Erdbeben 56 Sekunden lang Friaul erschüttert. Die Erdstöße erreichen eine Intensität von VIII bis IX auf der zwölfstufigen Mercalli-Skala und werden als zerstörend bis verwüstend klassifiziert.

In Venzone gab es 47 Todesopfer. Bereits in den ersten Tagen nach der Katastrophe organisierte ein Bergungsausschuss die Bergung der beweglichen Kulturgüter. Venzone war schwer betroffen, jedoch nicht ausgelöscht. Die vollständige Zerstörung der Altstadt, der Festungsmauern und des Doms verursachte ein Nachbeben vom 15. September 1976. Die Bevölkerung schloss sich 1977 zu einem Bürgerkomitee zusammen und forderte den lückenlose Wiederaufbau des Dorfes.

Das zuständige Ministerium war aber auch mit einer zweiten Eingabe befasst: Das Baubüro der Gemeinde wollte alle Gebäudereste beseitigen und Venzone mit Fertigbau-Elementen wiederaufbauen lassen. Letztendlich wurden jedoch die Pläne des Bürgerkomitees übernommen. (!!) Man entschied die zerstörten Häuser nicht einfach zu ersetzen, sondern sämtliche Trümmer wieder genau so zusammenzusetzen, wie sie vor der Katastrophe angebracht waren. Um dieses Vorhaben umsetzen zu können, wurden Fotos des Ortes zusammengetragen, um einzelne herumliegende Mauerstücke identifizieren zu können. Weiter beschloss man an den erfolgreich rekonstruierten Stellen keine neuen Fassaden anzubringen. Lediglich die Stellen, die nicht mehr aus den Trümmern wiederhergestellt werden konnten, wurden mit einer Fassade versehen. Dank dieser Entscheidung kann man sich heute als Besucher des Ortes ein Bild der menschlichen Höchstleistung machen, die die Einwohner Venzones im Zuge des Wiederaufbaues ihres Ortes erbrachten. Auch große Teile des Doms konnte auf diese Art und Weise rekonstruiert werden, die kahlen Mauerstücke innen und außen zeigen die Verluste. Im offenen Rathaus-Palast erinnert eine Bilddokumentation an die Katastrophe und den Wiederaufbau. (Quelle: Wikipedia)

Mich hat bereits ein Besuch vor zwei Jahren in dieser Stadt sehr berührt (siehe: https://goo.gl/photos/Ye22AtGLdqJcv9Zh6 ) auch diesmal stehe ich voll Bewunderung vor den in der Zwischenzeit wiederhergestellten Fresken im Dom.

Ein mühsam wiederhergestelltes Puzzle aus fernen Zeiten und berührendes Dokument von dem, was noch möglich ist. Und es wächst von Jahr zu Jahr weiter.

Rückblick auf Venzone

Von Venzone geht es über die Brücke auf die andere Seite des Tagliamento und weiter auf verkehrsarmer Nebenstraße über das Schmetterlingsdorf Bordano nach Braulins.

der Tagliamento

der Tagliamento

Bevor ich hinter Braulins wieder auf die andere Seite des Flusses wechsle, mache ich eine kurze Rast (bei nettem Hund) am Flussufer und stärke mich mit Obst. Auch die Füsse dürfen ins schöne kühle Wasser, – herrlich!

Blick vom Tagliamento zurück auf die Julischen Voralpen

Nach der Überquerung des Flusses geht es leider auf einer stark befahrenen Straße Richtung Osoppo und Buja weiter, – eine Fürchtstrecke für mich, vor allem wenn große Lastwagen auf der engen Strasse knapp an mir vorbeizischen. Rund um Buja folge ich immer wieder den auf meiner Karte eingezeichneten Radwegen, die aber meist unvermutet im Nichts enden und ich mich erneut auf die Suche machen muss..

Kanäle prägen fast das gesamte Friaul
Immer wieder komm ich an schönen Kanälen und manchmal bei meiner Suche an seltsamen Kirchendächern vorbei :-), aber dann erreiche ich endlich den Ort San Stefano, wo ich den Anschluss wieder an den Radweg, der hier mit „in@natura“ bezeichnet wird, habe.
Kirche von San Stefano
In San Stefano stärke ich mich mit einem kühlen Eis (mittlerweile hat es 34 Grad im Schatten) und fülle meine Wasservorräte auf. Dann geht es am in@natura-Radweg weiter, der meist gut beschildert, aber wirklich auch sehr naturbelassen ist :-).Manchmal führt er durch hübsche kleine Orte, dann wieder wird es total einsam, ich begegne meist keinem einzigen Menschen. Wer das Kanaltal nur vom durchfahren auf der Autobahn kennt, kann sich diese Welt-Entrücktheit kaum vorstellen. Man fühlt sich wie auf einem fernen Stern ;-).
Borgo Floreani

Borgo Floreani

Vendoglio

Vendoglio

einsam gehts dahin in der Hitzemanchmal gehts aber auch durchs steile Bachbett hinauf!

Der Weg wurde ursprünglich als Reiterweg angelegt und weist manchmal tiefe Schotterstrecken auf, die eine Herausforderung für Rad und Fahrerin bedeuten, da ich kein Pferd, sondern nur einen alten Drahtesel habe :-). Besonders, wenn es bergauf geht, so wie hier mitten durchs Bachbett, komme ich mit den schweren Packtaschen ganz schön ins Kämpfen…aber da muss ich durch ;-)!

Knapp vor Udine verliere ich den Radweg wieder und nach längerem hin- und her gebe ich genervt die Suche auf und fahre meinen eigenen Weg durch schöne Vororte und wieder an unzähligen Kanälen entlang.

Auf der Piazza Libertà vor der Loggia del Lionello

Auf der Piazza Libertà in Udine vor der Loggia del Lionello

Glücklich, aber total staubig und verschwitzt komme ich am frühen Abend in Udine an und geniesse die Dusche in meinem Hotelzimmer. Die erste Etappe ist geschafft, alles ist gut gegangen :-)!

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